Betritt man das bebaute Quadrat entlang der Kaiser-Wilhelm-Straße und der Heinigstraße, so fällt einem im Innenbereich ein Gebäude auf, das mit seiner Backsteinfront ein Vertreter der typischen Industriearchitektur im 19. Jahrhundert ist. Hier befand sich einst die Zentrale der Konsumgenossenschaft in Ludwigshafen, deren Ziel es war, in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten ihren Mitgliedern gute Waren zu günstigen Preisen anzubieten.

Das junge Ludwigshafen war Anfang der 1870er Jahre von einer rasch wachsenden Industrie geprägt, Arbeiter und ihre Familien siedelten sich in der Stadt an und es gab einen steigenden Bedarf an Lebensmitteln. Diese zu erhalten war jedoch nicht einfach, denn eine Versorgung nach heutigen Maßstäben gab es zu dieser Zeit noch nicht, vielmehr einzelne kleinere Geschäfte oder Märkte - und die Preise stiegen zu nehmend. Zwar stiegen in diesem Zeitraum auch die Löhne, doch der Durchschnittslohn eines BASF-Arbeiters reichte erst Anfang des 20. Jahrhunderts annähernd aus, um den Bedarf einer Familie zu decken. Viele mussten sich verschulden, um im Alltag zu überleben. Die Situation wurde zudem kritisch, als im Sommer 1873 die Vereinigung der Bäcker in Ludwigshafen eine Preiserhöhung ankündigte.

Der Konsumverein wird gegründet

Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten: Während einer einberufenen Versammlung bestehend aus Arbeitern und Angestellten im September 1873 entstand die Idee, einen Konsumverein zu gründen. Im selben Monat fand die konstituierende Generalversammlung statt,ein Verwaltungsrat wurde gewählt und der junge Verein konnte seine Arbeit im Kampf gegen steigende Lebensmittelpreise beginnen. Das hatte den doppelten Effekt, dass man durch das Angebot günstiger Waren die prekären Lebensbedingungen vieler Arbeiterfamilien lindern, andererseits durch ein Konkurrenzangebot den allgemeinen Anstieg der Preise dämpfen konnte. Die erste Verkaufsstelle öffnete schon Anfang 1874 in der Mundenheimer Straße.

Der genossenschaftliche Gedanke wird gestärkt

Die Geschäfte entwickelten sich für den Konsumverein gut, in den 1890er Jahren hatte er vier Verkaufsstellen im Ludwigshafener Stadtgebiet eröffnet, die Zahl der Mitglieder war Ende des 19. Jahrhunderts bereits auf über 1.600 angewachsen. Dennoch war diese Zahl im Vergleich mit dem Wachstum der Bevölkerung in Ludwigshafen gering, was dem Umstand geschuldet war, dass zunächst Vertreter der großen Unternehmen Ludwigshafens die Geschicke des Vereins dominierten. Der Konsumverein sollte aus ihrer Sicht keine echte Konkurrenz zu den kleinen Lebensmittelgeschäften sein, denn diese wurden oft von den Ehefrauen der Fabrikarbeiter betrieben. Durch das zweite Einkommen war es möglich, den Lohn der Arbeiter niedrig zu halten. Erst durch den verstärkten Einfluss von Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der genossenschaftliche Gedanke gestärkt und die Expansion des Vereins betrieben.

Das Geschäfts- und Lagerhaus entsteht

Auch wenn die Mitgliederzahlen noch überschaubar waren, ging der Verein ein großes Bauprojekt an und wählte den Standort an der Kaiser-Wilhelm-Straße für einen eigenen Gebäudekomplex, der 1902 entstand. Darin wurden Verwaltungsbüros, Magazine, Lager und Keller untergebracht, von hier aus konnten die Waren
in die verschiedenen Läden transportiert werden. Hier gab es außerdem unter anderem eine Bäckerei und Konditorei, eine eigene lokale Produktion von Sauerkraut und eine Metzgerei mit Wurst- und Fleischwaren. Ein lang anhaltender interner Streit zwischen den Vertretern des Bürgertums und der sozialistisch orientierten Arbeiterschaft führte zur zeitweisen Gründung eines Konkurrenzvereins, in den Jahren 1906 bis 1908 verlor der Konsumverein Mitglieder. Doch dadurch, dass immer mehr Arbeiter ihre Waren ausschließlich über den Konsumverein bezogen, machte sich der Umsatzrückgang nur vorübergehend bemerkbar. Zudem wurde verstärkt auf Eigenproduktion gesetzt, so dass ab 1910 neue Geschäfte eröffnet werden konnten. Das Angebot wurde ausgeweitet, neben Lebensmitteln konnten die Mitglieder auch Kleidung, Schreibwaren oder auch Fahrräder beziehen. Anfang der 1920er Jahre wurde das Zentrallager vergrößert und keine zehn Jahre später hatten bereits über 50 Geschäfte im Ludwigshafener Stadtgebiet eröffnet.

Das alte Zentrallager wird verkauft

Schwere Schäden im Zweiten Weltkrieg und die dadurch erlittenen Rückschläge bei der Versorgung der notleidenden Bevölkerung konnten erst mit dem Wiederaufbau ab 1950 rückgängig gemacht werden. Das Ende des alten Zentrallagers zeichnet sich allerdings schon in den 1950er Jahren ab. Zwar entstand in den Jahren 1953/54 noch ein Neubau für die Verwaltung direkt an der Kaiser-Wilhelm-Straße, doch einige Jahre später waren die Hallen im Hinterhof zu klein geworden. Ein Neubau entstand in der Maudacher Straße und das alte Anwesen wurde verkauft. Der Konsumverein Ludwigshafen fusionierte 1967 mit dem Mannheimer zur Konsumgenossenschaft Kurpfalz, beide firmierten ab 1969 unter einem neuen Namen, der Vielen noch bekannt sein dürfte: die „co op Konsumgenossenschaft Kurpfalz“. Sie bestand noch bis 1990.