Auch heute noch ist das Gebäude im Stil des Klassizismus auf dem Schillerplatz ein Blickfang. Doch wer nur die ansprechende Gestaltung beachtet übersieht, dass sich in der Architektur auch die Geschichte vom aufstrebenden Bürgertum entdecken lässt.

Wie so oft war die Grundsteinlegung eines öffentlichen Gebäudes auch in Oggersheim ein besonderer Moment. Davon zeugen die Zeilen aus dem eigens für diesen Tag komponierten Liedes, die nicht nur die Freude über einen vollendeten Bau ausdrücken:

„Wie lange sah’n wir dir entgegen/du
wonnenreicher Feiertag/da wir zum
Haus den Grundstein legen/das schön
sich jetzt erheben mag!“

Das neue und repräsentative Rathaus stand an diesem Festtag auch für eine Zeit des Aufbruchs, als wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen die Region bestimmten.

Ein neues Rathaus wird gebaut

In den 1820er und 1830er Jahren ging es vielen Gemeinden in der Region finanziell gut, manche Kommunen erwirtschaftetet gar Überschüsse. Dies regte vielerorts die Bautätigkeit an, es entstanden neue Gemeinde- und Rathäuser. So entschloss man sich auch in Oggersheim aufgrund der guten Finanzlage ein neues Rathaus zu bauen. Dem Vorgängerbau aus dem Jahr 1371 weiter westlich auf dem Marktplatz hatte der Zahn der Zeit stark zugesetzt und es marode werden lassen. Zwar wurde es nach den Zerstörungen während des Pfälzischen Erbfolgekriegs 1689 in den Jahren 1711 bis 1716 wieder aufgebaut, doch die Bausubstanz ließ sich nach über 120 Jahren nicht mehr retten. Die Pläne für den Ersatzbau kamen vom Bezirksbauschaffner Gabriel Foltz aus Speyer. Foltz sah ein zweigeschossiges und in spätklassizistischen Formen angelegtes Gebäude vor, über der Fassadenmitte ein Dachturm. Im Juni 1839 fand die feierliche Grundsteinlegung statt. Der Überlieferung nach wurde in den Stein auch eine Pergamenturkunde beigelegt, auf welche nebst einer kurzen Geschichte der Stadt Oggersheim die Namen der damaligen Gemeindevorstände, Beamten, Geistlichen, Lehrer und Bauunternehmer aufgelistet waren.

Der Bau als Symbol

Im Herbst 1840 war der Bau vollendet und einer der stattlichsten in Oggersheim. Diese kommunalen Bauten in der Region waren aber nicht nur auf ihre Funktion begrenzt. Denn sie repräsentierten einen neuen Gebäudetyp, der sich von den Wohnsitzen des Mannheimer Adels unterschied – und auch unterscheiden sollte. Denn durch die Architektur der neuen eher nüchtern gestalteten Bauten drückte sich auch ein Wandel der Gesellschaft aus: Nicht mehr der Adel und seine alten Ideale einer ständischen Gesellschaft prägten die Lebenswelt, sondern Unternehmer, Kaufleute und Fabrikanten. Sie gewannen an Einfluss und bestimmten zunehmend das Leben in den Kommunen – das aufstrebende Bürgertum setzte auf den freien Markt, die Verfassung und den Rechtsstaat. Genau diesen gesellschaftlichen Bruch zwischen dem Adel und der neuen bürgerlichen Welt im 19. Jahrhundert symbolisiert das Oggersheimer Rathaus mit seinen eher klaren Linien ein ästhetisches Gegenprogramm zum überschwänglichen und üppigen Barock.

Die älteste Glocke Ludwigshafens

Das Rathaus ist jedoch nicht nur architektonisch interessant, denn in seinem Turm verbirgt sich die älteste Glocke der Stadt aus dem Jahr 1750, die über sehr lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Entdeckt wurde sie zufällig vom damaligen Ortsvorsteher Dieter Heintz, als 2010 das Dach des Rathauses saniert wurde. Sie hing ursprünglich in der heute nicht mehr existierenden Kilianskirche, wo sie bis Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Dienst getan hatte. Einer ihrer Inschriften zufolge war sie eine von drei Glocken und wurde zur Zeit Carl Theodors, dem damaligen Landesherrn der Kurpfalz, gegossen:

„Aus Carl Theodors Gnatt wurd ich in
Thurn erhoben mit beyden Schwestern
mein Gott durch den Schall zu loben“

ist auf ihr zu lesen. Nach dem Abriss der alten Kilianskirche wurde die Glocke zunächst im alten Rathaus als Warnung vor Feuer und Stürmen eingesetzt, bevor sie schließlich im Turm des neuen Rathauses aufgehängt wurde. Von da an geriet sie in Vergessenheit und tauchte glücklicherweise auch in keinem öffentlichen Verzeichnis auf. Denn so wurde verhindert, dass sie während der beiden Weltkriege zu Kriegszecken eingeschmolzen wurde. Sie läutet noch heute täglich um 11 Uhr für zwei Minuten. Neben den Räumen, die für die Ratsversammlung und das Bürgermeisteramt vorgesehen waren, befanden sich im Rathaus Wohnungen für Lehrer, das Spritzenhaus zur Unterbringung von Geräten der Feuerwehr und sogar eine Polizeiwache mit Arresträumen. Im Originalzustand befindet sich das Rathaus nach einigen Umbauten heute zwar nicht mehr, doch seine repräsentative Erscheinung und historische Bedeutung ist dadurch nicht verloren gegangen.