Denken wie ein Oktopus, oder: Tentakuläres Begreifen / 25. September 2021 bis 9. Januar 2022

Die Gruppenausstellung „Denken wie ein Oktopus, oder: Tentakuläres Begreifen“ zeigt zeitgenössische, internationale Künstler*innen, die sich mit dem Wandel des Verhältnisses zwischen Tier und Mensch ästhetisch auseinandersetzen. Grenzte sich der Mensch bis vor Kurzem mit dem Argument, dass nur er unabhängig denken und sprechen könne, vom Tier ab, so steht die menschliche Überlegenheit nun in Frage. Denn: Denken Tiere wirklich nicht, nur weil sie nicht unsere Sprache sprechen? Können Tiere genauso kommunizieren wie wir? Und wie denkt es sich mit acht Armen, die fühlen, wahrnehmen, schmecken und kommunizieren können?

In Anlehnung an die philosophischen Konzepte der US-amerikanischen Biologin und Wissenschaftsphilosophin Donna J. Haraway (*1944) zeigt die Ausstellung in der Rudolf-Scharpf-Galerie des Wilhelm-Hack-Museums verschiedene Ansätze einer speziesübergreifenden Kommunikation anhand vielfältiger künstlerischer Arbeiten. Die Kunstwerke plädieren für ein respektvolles Miteinander und begreifen Tiere als denkende, fühlende Gefährten und bezaubern dabei auf sinnliche Weise. Sie regen zum Nachdenken an und fragen, wie wir eigentlich mit den Tieren um uns herum umgehen.

So hat das Künstlerduo Krõõt Juurak und Alex Bailey bereits vor Ausstellungsbeginn in den leeren Räumen speziell für Hunde aus Ludwigshafen und Umgebung performt. Die Künstler*innen wollen die Aufmerksamkeit und tägliche Zuneigung der Hunde für ihre Mitmenschen dabei besonders wertschätzen. Daher richten sich ihre „Performances for Pets“ an die durch den Menschen kulturell geprägten Haustiere als Publikum.

Die tschechische Künstlerin Klara Hobza präsentiert einen selbstentwickelten Fotoautomaten – den Animaloculomat. In dieser Fotobox kann man ein Portrait von sich selbst machen, das simuliert, wie ein Tier einen sehen würde. Sechs verschiedene Tierwahrnehmungen stehen zur Auswahl. Wie nähme eine Springspinne mich wahr? Auf welche Weise sieht ein Pferd den Menschen? Perspektivverschiebungen sind ein erster Schritt zu einem verstärkten gegenseitigen Verständnis und einem respektvolleren Miteinander.

Der US-amerikanische Künstler David Horvitz lädt mit einfachen Handlungsvorschlägen, die ursprünglich als Mail Art per Post verschickt wurden, dazu ein, mit einer Krähe in Kontakt zu treten oder anhand der Augen einer Katze die Zeit abzulesen. Je genauer wir andere Lebewesen wahrnehmen, desto stärker spüren wir ihre Bedürfnisse und Kontaktversuche. Auch die spanische Künstlerin Eli Cortiñas schlägt mit einer Wandarbeit vor, zu einem nicht-menschlichen Lebewesen zu sprechen, eine Frage zu stellen – und dann zuzuhören.

Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder Legenden über Menschen, die mit Tieren sprechen. So besagt die Legende um Franz von Assisi, dass er ein einfaches Leben im Wald im Einklang mit den Tieren und der Natur dem Reichtum seiner Familie vorzog. Die Künstlerin Annika Kahrs nimmt diese Legende zum Anlass für eine eindrückliche filmische Arbeit. Sie lässt einen jungen Pianisten das Klavierstück „Legende Nr. 1. Die Vogelpredigt des Franz von Assisi“ des ungarischen Komponisten Franz Liszt (1811-1886) aus dem Jahr 1863 am Flügel spielen. Publikum dieses Konzertes im prunkvollen Jenisch-Haus sind verschiedene Vögel in ihren Käfigen. Während der musikalischen „Vogelpredigt“ verschmelzen die künstlichen Flügelklänge mit dem realen Vogelgesang.

Andreas Greiner lässt eine verpuppte Fliegenlarve namens Donna in die Ausstellungsräume einziehen und schließt einen Vertrag mit der Kuratorin über das Wohlergeben der Fliege. Dabei kann die Fliege den Ausstellungsraum jederzeit verlassen, ist aber auch frei zu bleiben und erhält regelmäßig frische Nahrung. Was passiert, wenn ein Tier in einen Ausstellungsraum einzieht, und wie gehen wir normalerweise mit Fliegen, Mücken oder Insekten um? Kann man eine Fliege zum „fliegenden, lebendigen Kunstwerk“ erklären?

Die kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri verknüpft Tierwahrnehmungen unterschiedlicher Kulturkreise und Religionen miteinander und fragt in einem eindrucksvollen Film nach der göttlichen Schönheit von Tieren, insbesondere Oktopoden, die majestätisch durchs Meer gleiten. Gefundene Bilder werden hierbei kombiniert mit einem islamischen religiösen Naturgedicht und den elektronischen Klängen des Videospiels „Final Fantasy“, in dem man den Planeten Gaia retten muss.

Gretta Louw kreiert mit bedruckten und bestickten Stoffbahnen, Hör-Stationen und einem Video besondere Erfahrungsebenen, die an Unterwasser-Situationen erinnern. Anhand wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnisse kreierte sie eine neue Sprachebene, die sich mit unserer heutigen Positionierung und Verantwortung als Mensch in der Welt auseinandersetzt.

Auch der portugiesische Künstler Paulo Arraiano kreierte eine Videoarbeit mit Ton- und Bildebene, die durch die Kombination von Fakten und Fiktion in den Bann zieht. Arraiano fragt nach dem Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Natur im Zuge der zunehmenden Digitalisierung. Wenn wir künstliche Intelligenz weitgehend anerkennen, warum halten wir daran fest, dass Tiere nicht denken können? Und was wäre, wenn wir beispielsweise beim Verlust einer Hand eine künstliche Prothese als Tentakelarm verwenden und damit unsere Fähigkeiten erweitern würden?

Auch die irische Künstlerin Sarah Browne hinterfragt die künstliche Grenzziehung zwischen Tier und Mensch. Insbesondere aus feministischer Sicht beobachtet sie, dass Frauen oft ebenso wenig gehört werden wie Tiere, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen wie ihre männlichen Verwandten. Browne nimmt die Geschichte „Ein Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka von 1917, in der ein gefangener Affe sich an die Menschenwelt anpasst, zum Ausgangspunkt, um andersherum zu überlegen, ob die Fähigkeiten eines Oktopusses unsere menschliche – und hier auch besonders die oftmals unbeachtete weibliche – Existenz nicht grundlegend bereichern würden.

An solchen grundlegenden Beobachtungen zur Sprache und Verständigung setzt auch der schwedische Künstler Erik Bünger an. Bünger analysiert ein existierendes Video, in dem die Gorilladame Koko ihrem menschlichen Publikum mit Gebärdensprache eine Nachricht übermittelt und die Menschen scheinbar bittet, die Welt nicht weiter zu zerstören. Erik Bünger untersucht nun auf künstlerische Weise, dass die Gebärden des Gorillas anders übersetzt werden als es bei einem menschlichen Taubstummen der Fall wäre. Hier prägt die Ausformung des Körpers des Sprechenden auch die Übersetzung. Wirkt der Appell des Gorillas deswegen so stark, weil ihre Bitte gerade nicht in perfektes Englisch übersetzt ist? Wäre uns ein ebenso wie wir sprechendes Tier zu unheimlich, sodass wir ihre Rede nur abgehakt übersetzen, um ihnen die menschliche Sprachfähigkeit indirekt doch wieder abzusprechen?

Diese und vielfältige weitere Fragestellungen des komplexen Verhältnisses zwischen Mensch und Tier werden anhand der künstlerischen Arbeiten aufgeworfen. Im November erscheint ein umfangreicher Katalog mit mehreren Autorenbeiträgen von Wissenschaftlerinnen sowie zahlreichen Zitaten aus der Kunst- und Kulturgeschichte. Ein Begleitprogramm vertieft die Fragen der Ausstellung unter anderem auf einer Themenwanderung mit einem Umweltpädagogen im Pfälzerwald.

Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog werden von der BASF im Rahmen des Kulturförderprogrammes TOR 4 gefördert, das sich in diesem Jahr mit der Fragestellung „Müssen wir denn noch reden?“ beschäftigt. Die BASF möchte mit TOR 4 den Diskurs in der Metropolregion Rhein-Neckar anregen. Zu der von dem Unternehmen ausgeschriebenen Fragestellung beziehen mehrere Projekte aus den Bereichen Musik, Tanz, Literatur und Bildender Kunst Stellung.